Kirchen sind auch Räume der Kunst!

Ein Beitrag zur Diskussion um das sog. Kirchenmanifest
aus der Sicht des Vorsitzenden eines landeskirchlichen Kunstvereins:

Kirchen sind auch Räume der Kunst!
Diese Feststellung ist so allgemein wie selbstverständlich, könnte man denken. Doch sowohl die praktische Erfahrung als auch das weithin verbreitete, theoretische Verständnis von Kirchenräumen, in dessen Rahmen Kunst entweder nur eine sehr nachrangige oder auch eine auch nur dienende Funktion hat, lassen Zweifel an der Selbstverständlichkeit von Kirchen als Räumen der Kunst aufkommen. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass das sogenannte Kirchenmanifest vom Mai 2024 angesichts einer vielfach notwendigen und vielfältig motivierten Infragestellung von Kirchengebäuden, als allererstes davon spricht, dass „Kirchenbauten … mehrfach codierte Orte“ sind, dass sie zum Beispiel eben auch „Räume der Kunst“ und anderes mehr sind.(https://www.moderne-regional.de/kirchenmanifest/ Zugriff: 10.01.2025)
Als Verein für Kirche und Kunst in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg fühlen wir uns deshalb auch durch die Veröffentlichung des Kirchenmanifests und die sich anschließende, anhaltende Diskussion herausgefordert, insbesondere auf diese Perspektive, auf Kirchen als Räume der Kunst, verstärkt aufmerksam zu machen.
Ein wesentlicher Grund für die Infragestellung von Kirchenräumen ist deren langfristige Finanzierbarkeit. Wenn die Organisation Kirche als Eigentümerin finanziell nicht mehr in der Lage ist, die Gebäudeunterhaltung zu tragen, und sie zudem aufgrund geringerer personeller Ressourcen Schwierigkeiten hat, sie zu bespielen bzw. geistlich zu beatmen, dann kommen unweigerlich Fragen nach Nutzungserweiterungen oder Umnutzungen auf, letztlich auch die Frage nach der Aufgabe eines Kirchengebäudes. Diese Prozesse, ihre Dringlichkeit und ihre Umfänglichkeit, gestalten sich zwar lokal unterschiedlich intensiv, aber sie sind früher oder später doch flächendeckend unvermeidlich. Denn das Kleinerwerden von Kirche führt unweigerlich zu sehr viel kleineren finanziellen Möglichkeiten.

Kunst in Kirchen als allgemeine Kulturgüter
Eine große Stärke des Kirchenmanifestes ist unumstritten, dass mit ihm die Frage nach der Zukunft der Kirchengebäude über die innerkirchliche Verantwortungsgemeinschaft hinaus andressiert wird: „Kirchen sind Gemeingüter!“ So die Hauptüberschrift. Aus der Kirche-Kunst-Sicht ist noch eigens zu betonen, dass eben auch die künstlerische Ausstattung der Kirchengebäude so zu verstehen ist, als Gemeingüter. Ob es um skulpturale Stücke, um Wand- oder Altarmalerei, um Glas- oder Textilkunst, ob es um für sich stehende oder um raumbezogene Kunst in all ihren verschiedensten Gestaltungsformen geht, vielfach handelt es sich um herausragende Kulturgüter, die zum allgemeinen kulturellen Erbe zählen.
„Kirchen sind nicht die privaten Wohnzimmer einer Kerngemeinde“, heißt es in der 2018 von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg herausgegebenen Handreichung „Kirche – mehr als Gebäude“ (hrsg. vom Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Stuttgart 2018, S. 9). Diese zuspitzende Formulierung zielt dabei mehr oder weniger direkt auch auf jenen öffentlichen Charakter von Kirchenräumen ab, der im Kirchenmanifest eine große Rolle spielt. Kirchenbauten sind öffentliche Orte.
Die Konsequenz, die das Kirchenmanifest aus diesem Verständnis von Kirchen als öffentlichen Gemeingütern zieht – „sie gehören allen“ -, hat jedoch wiederholt kritische Reaktionen hervorgerufen. (So z.B. schon gut einen Monat nach Erscheinen des Manifestes in einer gemeinsamen Stellungnahme von EKD und DBK: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2024/2024-107a-Kirchengebaeude-in-Deutschland-Positionierung-EKD-DBK.pdf [Zugriff: 10.01.2025]). Der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl spricht beispielsweise in diesem Zusammenhang von einem „schillernden Begriff“, weil Kirchengebäude zwar „als Teil des kulturellen Erbes tatsächlich allen Menschen“ gehören, nicht aber in einem juristischen Sinn (Ernst-Wilhelm Gohl, Erbe und lebendige Spiritualität. Die Zukunft der Kirchbauten und die Debatte um das „Kirchenmanifest“, in: Zeitzeichen 11/2014, S. 31-33). Mithin stellt sich bei allen eigentumsrechtlichen Veränderungen auch die Frage nach der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit im Blick auf die künstlerische Ausstattung und Gestaltung. Wer trägt zukünftig die kuratorische Verantwortung? Wer entscheidet über Ausstattungsfragen? Zumal wenn Anliegen der Nutzung mit jenen des Denkmalschutzes oder auch jenen der künstlerischen Qualität in Zielkonflikte geraten.
Der konkrete Vorschlag des Manifestes einer „neue[n] Stiftung oder Stiftungslandschaft“ vermag angesichts der Komplexität und Heterogenität von Rahmenbedingungen, Zuständigkeiten und Bedarfen, nicht wirklich zu überzeugen, wohl aber scheint die Forderung nach einer „breit aufgestellte[n] Verantwortungsgemeinschaft“ hilfreich zu sein. Dabei sollten die kirchlichen Körperschaften jedoch nicht nur „kooperative Partnerinnen“ sein, sondern aktiv gestaltende und steuernde (Haupt-)Verantwortungsträgerinnen sein und bleiben. Dass in dem Maße wie zivilgesellschaftliche oder auch staatliche Akteure sich bei der Klärung der Zukunft von Kirchengebäuden einbringen, diese dann auch faktisch an der Trägerverantwortung teilhaben, versteht sich von selbst und ist doch im je konkreten Zusammenwirken mit den kirchlichen Trägerverantwortlichen je eigens zu bestimmen. Für diese Klärungsprozesse wird es bestenfalls nachahmenswerte Beispiellösungen geben können, aber keine Standartmodelle.

Zur Zukunft der Kunst in Kirchenräumen.
Im Anschluss an das Kirchenmanifest und darüber hinaus:
Kirchenräume tradieren künstlerische Ausstattungen von sehr unterschiedlicher Qualität. Sie sind Zeugnisse einer kirchenraumbezogenen Architektur- und Kunstgeschichte ebenso wie sie aktuell herausfordernde Gestaltungsräume bzw. Orte der Begegnung mit Kunst der Gegenwart sein können. In all diesen Fällen ist eine Lesefähigkeit und ein Leseverständnis von Raum, Kunst und Liturgie unverzichtbar. Die Frage nach der künstlerischen Ausstattung eines zur Diskussion stehenden Kirchenraums muss ein unverzichtbarer Bestandteil der konzeptionellen Gebäudestrategie sein. Wenn Kirchen Räume der Kunst sind, dann ist die Kunst von Anbeginn der Diskussion zur Sprache zu bringen. Die Frage nach der Zukunft der künstlerischen Ausstattung ist ebenso berechtigt wie die nach der Zukunft des Kirchengebäudes an sich.
Nutzungserweiterungen, Umnutzungen oder Aufgaben von Kirchengebäuden implizieren in aller Regel auch Konsequenzen für die künstlerische Ausstattung der Kirchenräume. Vielfach fühlen sich die Verantwortlichen der kirchlichen Träger überfordert, wenn es um zukünftige Gestaltungsoptionen in Sachen Kunst geht. Deshalb sind landeskirchlich Beauftragte für Kunst und Kirchenraumberatung in allen Transformationsprozessen von Kirchengebäuden eine wertvolle Unterstützung. (Beispielhaft in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Näheres dazu unter: https://www.kirche-kunst.de/kunstberatung, [Zugriff: 10.01.2025]). Wo es diese Beratungsressource nicht gibt, braucht es alternative Beratungsangebote, vom hinreichend ausgewiesenen ehrenamtlichen Engagement der beispielsweise in landeskirchlichen Kunstvereinen Tätigen bis hin zu extern-professioneller Fachexpertise durch in Kunst, Kunstgeschichte und deren Vermittlung Engagierten.
Bislang gibt es keine kircheneigenen Depots für kirchenraumbezogene Kunst. Obwohl an sich wünschenswert (zum Beispiel in umgenutzten Kirchengebäuden), ist deren umfassende Realisierung wohl kaum zu erwarten. Umso dringlicher braucht es professionelle Beratung auch dazu, was mit künstlerischer Ausstattung, für die es den ursprünglichen kirchenraumbezogenen Kontext nicht mehr geben wird, getan werden kann und soll.
Neben dem Thema der Kunst in Kirchenräumen als kulturellem Erbe, ist zudem die Begegnung von Kirche und Kunst als Gegenwarts- und Zukunftsthema unverzichtbar. Kirche ist nie nur Funktion, sondern immer auch ästhetische, atmosphärische, sinnliche, sinnsuchende und sinnstiftende Gestaltung. Kirche ist nie nur für sich, sondern in Begegnung. Kunst lädt ebenso wie Kirche zu Auseinandersetzung und Verständigung ein, zu Reflexion über das Offensichtliche hinaus, zu Rezeption von Wirklichkeit mit allen Sinnen.

Dekan im Kirchenbezirk Reutlingen

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