Weihnachtszeit ist Krippenzeit. Um eine ganz konkrete Krippe, genauer gesagt um eine Krippenfigur im Ulmer Münster ist in der Vorweihnachtszeit eine aufsehenerregende Diskussion entflammt. Entzündet hat sie sich an der Darstellungsweise des Melchior, bekanntermaßen einem der „Drei Könige“, an die wir uns normalerweise insbesondere am 6. Januar erinnern lassen. Mit diesem Gedenktag ist die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland verbunden, so wie sie uns der Evangelist Matthäus erzählt (Mt 2, 1-12). Sie haben den Stern über Bethlehem gesehen und sich aufgemacht um den „neugeborenen König der Juden“ zu sehen und anzubeten. Wie zuerst schon die Hirten (nach der Überlieferung des Lukasevangelisten), so stehen nun die „Heiligen Drei Könige“ an der Krippe.
In der evangelischen Tradition spielten Krippendarstellungen lange Zeit keine große Rolle, und wenn, dann eher als gemalte Bilder der Geburt Jesu. Auch das Ulmer Münster zeigt eine figürliche Krippe erst seit 1992, geschaffen einst 70 Jahre früher von dem Ulmer Bildhauer Martin Scheible, der in vielen Kirchen im Südwesten auch etliche feste Ausstattungen schuf, beispielsweise in der Reutlinger Marienkirche das große Kruzifix im Chorbogen.
Scheible verstand sich als Künstler durchaus auch im Dienst der Kirche, nicht zuletzt als Kunstbeauftragter der evangelischen Landeskirche. Seine „Kirchenkunst“ sollte dazu anregen, die Botschaft der Bibel wahrzunehmen.
Doch so wie er diesen Melchior und weitere kleine Figuren in schwarzer Hautfarbe Anfang der 1920er Jahre gestaltete, trifft diese Figur in unserer heutigen Wahrnehmung auf Widerstand, zu Recht!
In Zeiten, in denen wir nach wie vor intensive Debatten um Rassismus führen müssen, in denen in Fußballstadien schwarze Fußballspieler mit Affenlauten verhöhnt werden, in denen eine neue Bewegung daran erinnern muss, dass „black lives matter“, in solchen Zeiten des noch längst nicht überwundenen Alltagsrassismus auch und gerade gegenüber „people of color“ können solche Krippenfiguren, die etliche rassistische Motive bedienen (grotesk übertriebene Lippen in einer beinahe animalischen Physiognomie mit unnatürlich gedrungenen Körperhaltungen, Äffchen auf den Schultern), nicht mehr unkommentiert gezeigt werden.
Doch es bleibt die Frage, ob ein solcher Melchior an der Krippe wieder zu stehen kommen soll. Man könnte argumentieren, dass eine Kirche kein Museum sei und deshalb dort nicht gezeigt werden dürfe, was der im Kirchenraum gepredigten Botschaft widerspricht. Und da Rassismus im Weihnachtsevangelium nun wirklich keinen Platz hat, darf auch eine rassistische Motive bedienende Krippenfigur wie der Scheible’sche Melchior dort nicht vorkommen. Doch bräuchte es dann nicht eine viel umfassendere Revision künstlerischer Darstellungen und Ausstattungen in Kirchenräumen allgemein, mit kaum absehbarem Ende? Wo sollte man aufhören, wenn man nur an die vielen antisemitischen Darstellungen beispielsweise auf Kreuzigungsszenen schaut? Da sind die Wittenberger „Judensau“ oder die Straßburger Personifikation der Synagoge mit verbundenen Augen gewiss nur die bekanntesten aus einer Unzahl von Beispielen.
Wegstellen oder Übertünchen ist keine Lösung. Ein „aus den Augen aus dem Sinn“ darf es hier nicht geben. Dass wir zur Besinnung kommen und über die rassistischen Prägungen in Kunst und Kirche kritisch reflektieren, darauf kommt es an. Dazu braucht es Anstöße, die wir aufnehmen in Diskussionen und Kommentaren, mit Interpretationen und Interventionen. Es sind viele Arten der Reflexion und Reaktion denkbar, nur, was sicher nicht mehr sein sollte, ist, die Ulmer Krippenfiguren entweder einfach verschwinden zu lassen oder anders, sie einfach unkommentiert aufzustellen. Dazu sind sie zu anstößig.
Und diese Anstößigkeit tut uns gut, weil sie viel mehr in uns anregt, als nur eine hitzige Debatte um eine Krippenfigur. Sie bringt uns im wahrsten Sinne des Wortes zur Besinnung, nicht nur in der Vorweihnachtszeit.
(Ausnahmsweise nicht, wie alle anderen „Auf ein Wort“ in der Lokalpresse veröffentlicht.)
Lieber Marcus,
„Anstößigkeit tut uns gut!“
Vielen Dank für diesen Satz.
Zensur tut uns nicht gut!
Viele Grüße
Beatus